Rede von Florians Mutter bei der Trauerfeier in Nienburg

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Geschrieben von: Administrator
Dienstag, den 27. April 2010 um 18:39 Uhr

Ich bin Claudia Biel, die Mutter von Florian Biel.

Dein Kopf sei klug und klar, dein Herz sei rein und wahr.

Liebe Angehörige der Bundeswehr, liebe Familie, liebe Freunde von Florian,

diesen Satz "dein Kopf sei klug und klar, dein Herz sei rein und wahr" hat Florian in seinen letzten Notizen geschrieben, er hat diesen Satz auch auf mein VZ gepostet. Es war ein wichtiger Satz für ihn.  ( )

Am 14. 03. 2007 schrieb Florian in sein Tagebuch: „Ich habe einen Entschluss gefasst ich werde nie lügen, nie meinen Kameraden, die mir unterstellt sind und mit mir kämpfen verraten. Aufrichtig und ehrlich meinen Weg gehen und mich nicht von diesem abbringen lassen.

Ich danke für die Worte meiner Vorgänger. Ich stehe dafür ein, dass Florian hier nicht nur gelobt wird, weil er tot ist. Alle, mit denen ich redete, sprachen davon, wie konsequent, wie korrekt, wie aufrichtig er seine Arbeit gemacht und seinen Dienst - im wahrsten Sinne des Wortes „Dienst“ - getan hat. Er war mit Herz und Seele Ausbilder. In seinen Notizen steht ein Satz von Konfuzius: „Unausgebildete Soldaten in den Krieg zu führen bedeutet sie wegzuwerfen


Das war sein Anliegen. Er wollte immer führen, indem er mitgeht, führen, indem er mit seinen Männern und Frauen durch dick und dünn geht. Deswegen - so erklärte er mir oft auf mein Nachfragen hin, wolle er auch nicht Offizier werden. Er sagte, er wolle nicht vom Schreibtisch aus befehlen. Er wolle mit seinen Leuten kämpfen, für sie da sein. Das war sein Führungsstil. Führen durch Verantwortungsbewusstsein, Pflichtbewusstsein, Vorbild: Führen, indem man mitgeht.


Ich lese jetzt seinen Abschiedsbrief vor; geschrieben am 28. 11. 2009. Das ist der Tag, bevor er sich das Leben nahm. Ich will noch dazu sagen, dass die Protokolle und die Vernehmungen ergeben, dass er den  Brief im Laufe des Tages, den 28. 11. 2009 geschrieben haben muss. Denn er war den ganzen Abend mit Kameraden und anderen Soldaten unterwegs. Am 29. 11. 2009 um 00:40 Uhr hat er sich erschossen.



Er schreibt:
Liebe Claudia, es tut mir leid. Ich habe mein Leben einer Armee verschrieben, die nicht das ist, was sie sagt. Ich bin gern Soldat gewesen und will nichts anderes sein.
Werte wie Eignung, Leistung und Befähigung sind nur noch Worthülsen für mich. Fünfmal ist es passiert, fünfmal bin ich darüber hinweggegangen, habe es geduldet.
Ich kann so nicht reinen Gewissens Soldat sein, da ich ersticke an diesen Lügen.
Ich hoffe Du verzeihst mir. Wir sehen uns im nächsten Leben. Dein Dich liebender Sohn Florian.
"

( )

Ich kann so nicht reinen Gewissens Soldat sein, da ich ersticke an diesen Lügen.
Florian ist an seinen Schrank gegangen. Im Schrank war die Dienstwaffe. Sein Zimmerkamerad sah ihn. Er sah aber nicht, wie er die Dienstwaffe nahm. Florian hat die Waffe verborgen. Er lief an seinem Vorgesetzten vorbei mit verborgener Waffe. Dieser schickte ihn zurück, weil er  keine Feldbluse anhatte. Er hatte sie vorher mit einem Iren getauscht. Florian kam mit angezogener Feldbluse wieder raus und lief an seinem Vorgesetzten vorbei. Ungefähr 50 m von diesem entfernt erschoss er sich im Schritt. Er setzte die Waffe ungefähr so an, es ging ein Durchschuss durch seinen Kopf, und er fiel mit einer Drehbewegung auf den Rücken. 40 Minuten lang wurde er wiederbelebt. 01:20 Uhr ist sein Todeszeitpunkt.

Er erschoss sich sehr demonstrativ, sehr öffentlich. Ich denke und fühle, er wollte damit etwas sagen.


"Ich bin gern Soldat gewesen und will nichts anderes sein.

Mit diesen Worten antwortet er auf mich. Als alte Pazifistin sagte ich immer: „Du kannst jederzeit raus, Du kannst immer verweigern, es gibt eine offene Tür.“  Er wusste, dass ich das sagen würde. Deswegen antwortet er mir "Ich bin gern Soldat gewesen und will nichts anderes sein."

Ich kann meinen Sohn verstehen. Ich kann verstehen, dass jemand so hohe Ideale hat, dass er lieber stirbt als mit Lügen weiterzuleben. Ich weiß nicht, worum es ging, aber ich kann etwas nachvollziehen. Ich verneige mich vor der Größe in seiner Entscheidung.



In den letzten Tagen, als ich darüber nachdachte, was ich hier sagen werde, fiel mir ein, dass er oft zu mir sagte: „Wenn ich einen Vortrag halte, beginne ich damit Betroffenheit  zu erzeugen.

Mit seinem Tod hat Florian Betroffenheit erzeugt. Er hat alles, was er hatte, dafür eingesetzt. Ich denke, er will etwas sagen mit seinem Tod. Ich bin nicht die, die ausbuchstabieren kann, was er sagen will. Das kann jede und jeder für sich selbst.

Ich stehe hier, weil ich hoffe, dass ich  für das, was er sagen will, in irgendeiner Weise ein Sprachrohr sein kann.
"Ich kann nicht reinen Gewissens Soldat sein, da ich ersticke an diesen Lügen."

 

Jemand war so nett, mir seinen Briefwechsel mit Florian zuzustellen. Florian schreibt  am 17. 11. 2009:: "Hi, hier läuft es noch schlimmer als in Deutschland mit der Obrigkeit. Ich habe endgültig die Schnauze voll, und wie geht es bei Dir?"

18. 11. 2009: Florian schreibt: "Ich bin nur selten im Internet, da ich immer zum Burgerking laufen muss, um reinzugehen. Die Amis haben zwar Internet auf der Stufe, uns aber haben sie wo einquartiert, wo es nichts gibt. Aber egal, bin am 30. raus, kann es nicht erwarten wieder ins Ausland zu gehen, bloß weg vom KP, von der Kompanie. Das mit der neuen Beurteilung haben die auch in den Sand gesetzt. Das hätte selbst ein zweitklassiger OG besser gemacht. Ich bin deshalb ziemlich angefressen, aber es gibt Schlimmeres."

Er hat sich nicht wegen einer Note umgebracht. Ich vermute, Florian hat sich umgebracht, weil er seine Werte nicht genügend geschätzt und respektiert sah in der Bundeswehr und insbesondere von seinen Vorgesetzten. Wie mein Vorredner sagte, führte Florian durch Vorbild. Er hat sich solches auch gewünscht.


Ein Soldat sagte kürzlich zu mir: "Manche machen es hier für Idealismus, manche machen es für Geld." Ich finde beides legitim. Florians Tod wirft die große Frage auf, wie gehen wir mit Menschen um, die voller Ideale diesen Dienst tun für uns alle, für Deutschland. Ich denke Florian hat ein Recht, dass wir darüber nachdenken. Dass wir diese Fragen in unsere Herzen lassen, - dass wir niemanden, der für uns eintritt und kämpft, sein Leben riskiert, im Stich lassen.

Das sind ganz einfache Worte, so wie ich das verstehe, aber ich glaube, das ist sein Anliegen. Ich wünsche mir sehr, dass Florians Tod so ist wie ein Stein, der ins Wasser fällt und Wellen auslöst. Die erste Welle ist eine Welle der Bestürzung, der Betroffenheit. Die weiteren Wellen könnten Besinnung, Nachdenken, Erinnerung, Veränderung sein. Ich wünsche mir so sehr für alle, die so idealistisch bei der Bundeswehr sind, und so für unser Land eintreten, dass wir zu Veränderungen kommen, - dass Florians Tod nicht ungehört verhallt.

"Sein Kopf sei klug und klar und sein Herz sei rein und wahr."
Ich danke Ihnen.

Claudia Biel sprach 8.12.2009 bei der Trauerfeier in Nienburg vor  der Stammeinheit von Oberfeldwebel Florian Biel
(Die Rede wurde frei und spontan gehalten, nur die Zitate wurden vorgelesen. Wir danken dem EloKa Bataillon in Nienburg, das die Trauerfeier gefilmt hat und uns zum Abtippen zur Verfügung gestellt hat.)

Aktualisiert ( Donnerstag, den 12. Juli 2018 um 12:10 Uhr )